London´s Victoria: Bahnhof, Königin & Casino
Mittwoch 17.00 Uhr, Flughafen Hamburg, die Frisur sitzt. Nach ein paar Stunden in Hamburg sind wir wieder unterwegs, diesmal nach London zum 2. EPT-Turnier dieser Saison. Wir fliegen bis London-Gatwick und fahren dann mit dem Express-Zug zur Victoria-Station. Irgendwie heisst hier alles „Victoria“ was wichtig ist. Vor dort aus mit diesen einfach grossartigen Taxis (viel Platz, bequemes Einsteigen, beleuchteter Schminkspiegel) gehts zum Langham Hotel, einem *****-Hotel im Viertel Westminster. Livrierte Door-opener, roter Teppich, das Messing geputzt. Bei PokerStars wird schick gewohnt.
Mein erster Spieltag ist Day 1B sein, also Freitag. Das heisst bis auf ein paar Pressetermine einen Tag frei um meine anhaltende Erkältung in den Griff zu bekommen. Am Donnerstag gehen wir schon mal ins Grosvenor Victoria Casino um die Formalitäten zu erledigen. Hier gibt es eine ganz besondere Regel: Wer nicht an seinem Tisch sitzt wenn die erste Hand gedealt ist, der ist bereits ausgeschieden. Also ein verpasster Bus, ein verspätetes Flugzeug oder ein langsames Taxi kosten im Zweifel EUR 5000.
Im Casino treffen wir den üblichen und bekannten Mob. Das erste Feld kämpft seit 15.00 Uhr auf zwei Etagen, Chipsgeklimper, angespannte Gesichter und viel Rauch. Hier darf nämlich im Casino gequalmt werden. Mich nervt es ehrlich gesagt. Ich rauche Zigarillos und kann Zigraettengeruch nicht ausstehen. Ich bin so ein Raucher, der sich in der Bahn und im Flugzeug grundsätzlich zu den Nichtrauchern setzt, weil fremder Qualm mir auf die Nerven geht. Ich bin schizophren? Ich auch.
Am Freitag fahren wir dann nach einem tollen „English Breakfast“ im Kolonialstil gehaltenen Frühstücksraum des Langham Hotels zum Casino rüber. Meine Ohren sind mittlerweile so taub, dass ich nicht mal das Rauschen der Deckenventilatoren wahrnehme. Ich verständige mich in Zeichensprache.
Meinen Tisch finde ich ganz gut: Joe Hachem, Danish „Dynamisk“ Frederik Hostrup, 2 wilde Skandinavier, 2 tighte Engländer und 3 die ich nicht kenne.
Ich spiele solide, schaue belustigt den Moves der anderen zu, unterhalte mich mit meinen Nachbarn und hab nach ca. 3 Stunden an die 17.000 Chips. Dann wird mein Tisch aufgelöst und ich komme „nach oben“, in die zweite Etage. Heute müssen von 200 Spielern ca. 150 ausscheiden, die dann an dem Tag „Day2“ mit den verbliebenen des „Day1A“ zusammentreffen. Mein neuer Tisch ist auch ganz ok, niemand wirklich Bekanntes. Ich fühl mich ganz wohl und kann meinen Stack auf über 20.000 ausbauen. Dann kommt eine Hand, die sogar die Jounalisten geschüttelt hat. Das war der Aufreger des Tages sozusagen. Die Blinds waren glaub ich bei 400/800 mit Ante. Es kommt ein Standard-raise in früher Position von einem unberechenbaren Spieler. Von dem hatte ich schon Showdowns gesehen, dass mir die Haare zu Berge standen. Ich sitze auf dem Button mit AA. Ich raise noch mal richtig fett auf 5000. Das ist ein Alarm-Bet: „Hallo hier ist eine Granate“. Die Blinds halten sich raus und der ursprüngliche Raiser zahlt nur. Flop kommt 10 4 6 rainbow. Er checkt ich spiele nochmal 7000. Das ist wieder ein „Achtung hier sind KK oder AA“. Er zahlt. Ich wunder mich und denke, na ja, er hat die gleiche Hand wie ich oder QQ oder KK. Turn 7. Jetzt spielt er und geht mit seinem Rest All-in und ich zahle. Der Flop ist immer noch rainbow und ne Strasse trau ich ihm nicht zu. Nicht wirklich. Obwohl? Showdown: Er hat Pocket 7 und sein Set getroffen. Er zahlt den ganzen Weg für all seine Chips mit ein Paar 7. Ich maule rum und nenne ihn Fish, beschimpfe ihn als den größten Idioten unter der Sonne als der Dealer auf dem River ein A umlegt. Upps. Ich verstumme, schaue ungläubig und schenke den Dealer mein schönstes Lächeln. Ich streiche einen Pot von 42.000 ein und lehne mich zurück. Suck und Re-suck…Hat doch tatsächlich mal die bessere Starthand gewonnen.
Tüten auspacken, Gegener einschätzen
Ich erreiche das vorläufige Ziel: Zweiter Tag/ 50 von 200 Spielern noch dabei/Durchschnittschips 40.900. Mein neu ausgeloster Sitz ist am TV-Tisch, Platz 6. Um mich herum nur Engländer (soweit ich das einschätzen kann), die Chipstände reichen von 30-60 Tausend. Ich liege etwa in der Mitte. Das Spiel beginnt mit 600/1200, Ante 100. Den Vortag beendeten wir mit 400/800 und irgendwie ist ein Level ausgelassen worden, was mich doch etwas irritierte (500/1000). Das heisst ich hab im Verhältnis zu den Blinds doch nicht so viele Chips. Aber das war ja für alle gleich.
Bevors losgeht am 2. Tag geh ich noch mal an die frische Luft wo ich draussen Andy Black sehe. Das ist einer meiner „Lieblingstreffer“; ein irischer Pokerspieler, Buddist und grundsätzlich in Schlafanzughosen. Diesmal kombiniert mit einem Oberteil (T-shirt konnte man das nicht nennen) wo man die Spagetti-Bolognese-Spuren der letzten Woche gepaart mit Textmarker sah. Er erzählte mir, dass sein Sohn (7 Jahre alt) neulich auf einem Musikfestival nackt vor 150.000 Zuschauern getanzt hätte. Er wunderte sich woher das Kind das wohl habe. Ja woher denn nur? Auf jeden Fall sprechen wir über Chipsstände und Strategien. Er hat (wie ich) leider immer das Problem am 2. Spieltag. Wir einigen uns darauf, dass wir das Trikot tauschen wenn wir es an den Finaltisch schaffen. Mir graut ehrlich gesagt davor, aber er würde in meiner schwarzen Satinbluse auch scheisse aussehen. Was macht man nicht alles….
Also wir schnappen die frische Luft zu Ende und begeben uns ins verrauchte Casino.
Zurück an den TV-Tisch wo mittlerweile alles prepariert ist. Kameras, Wasser, Kaffee, alle hatten ihre Chips hübsch aufgebaut und dann schon „Shuffle up and deal“.
Es geht gleich heftig los. In der ersten Hand gibts das erste All-in und den ersten Toten am Tisch. Irgendwie sind alle auf zack und ich habe das Gefühl jeder will sich hier beweisen wie toll er doch spielt, blufft oder trifft. Das kann ja heiter werden. Nach 10 Minuten gibt es bereits das zweite Händeschütteln und „Auf-Wiedersehen“. Das sieht alles so nach „Bring more Russians“ von Tony G. aus.
Nach weiteren fünf Minuten finde ich in mittlerer Position meine Lieblingshand AJ. Ich kotze direkt in die Karte und raise. Natürlich gibts SOFORT einen Caller. Oder waren es gleich zwei? Auf jeden Fall sehen wir alle den Flop. Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich glaube da war Schr
ott/ Schrott/ König. Ich muss zuerst sprechen und setzte sofort noch mal rein um den Pot eventuell gleich ohne Showdown zu ziehen. Einer bezahlt wieder. Turn keine Hilfe für mich sondern ganz im Gegenteil und ich muss mich entscheiden ob ich reinbluffe mit all meinen Chips oder die Hand aufgebe. Ich checke, er spielt und ich passe. Na tollert Start. Ich fühl mich wie auf einem Schleudersitz und habe leider mit dem Move total meine Comfortzone verlassen. Kurze Zeit später fühle ich mich leicht paranoid. Schon wieder AJs. Ok, auf gehts Jungs. Mein Raise wird von einem schon sehr ergrauten Landlord im Big Blind gecallt, der schon ein paar Hände zuvor QQ durchlaufen lies und nur behind checkte und bezahlte. Der Flop kommt 445, zwei Pik. Null Treffer für mich. Weder hab ich ein einziges Pik in der Hand, sondern Kreuz noch sehe ich irgendwie eine Möglichkeit, dass meine Hand besser ist oder gar besser werden kann. Er muss zuerst sprechen und setzt ohne zu Zögern 7000, was etwa Pot war. Ich kann mich wieder nur entscheiden ob ich jetzt mit zwei Highcards und ohne Pik all-in raise oder ob ich meine Hand weglege. Ich schätze ihn sehr tight ein und denke, dass er sowieso callt wenn ich drüberkomme. Also wieder passen. Meine Chips schmelzen nur so dahin. Keiner hat mir gesagt, dass es leicht sein wird mit Poker Geld zu verdienen. Ich beisse die Zähne zusammen. Nicht lange genug. In einer ungecallten und ungeraisten Hand bis zu mir, ich hab Small Blind, hole ich die Kettensäge raus. Jetzt aber mit Gewalt den ersten Pot und wenns nur die Blinds und Ante sind. Der Big Blind geht „In the tank“. Ich grinse ihn an, schliesslich hab ich nur J9 in Karo. Er schaut das dritte mal in seine Karten und bezahlt. Der Tisch ist gedeckt für ihn: Er hat AK. Keine Hilfe vom Board für mich, im Flop liegt sogar schon das A. Der River kommt mit J. Tja, wenn ich AJ spiele (jetzt gut für 2 Paar) null komma null. That´s life.
Ich krieg auch einen Händedruck und „it was a pleasure“. Kein Wunder, mit seinen Chips wärs mir auch a pleasure gewesen. Für ESPN gebe ich noch ein schönes Statement ab und schaue fröhlich in die Kamera. Das ist halt auch ein Teil des Jobs: Trotz Ausscheiden, schlecht spielen, Pech haben noch grinsen und ohne Atempause sagen: Poker ist klasse!
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