Fliegende Portugiesen und schwimmende Holländer
Der Flug wird lang.
Ich mache es mir, soweit möglich, auf meiner Sitzreihe bequem und überlege wie ich die Zeit am besten rumkriege. Ich hasse fliegen. Nicht das Fliegen an sich, sondern die damit verbundenen Einschneidungen, die verlorene Zeit und das Ausgeliefertsein an fremdes Wohlwollen. Boardpersonal, welches einen wegen Banalitäten weckt (nachdem man mühevoll eingeschlafen ist), miserables Essen ohne Alternative und die geballten Körperausdünstungen der Menschen auf kleinstem Raum ohne jegliche Möglichkeit der Gegenwehr.
In den alten Hollywood-Schinken sah Fliegen direkt noch schick aus. Die Stewardessen, gecastet wie aus Germany´s Next Top Model, lasen dem Fluggast freundlich und adrett jeden Wunsch von den Augen ab. Es gab Stoffservietten, viel Platz, lecker Essen und die Herren qualmten dicke Zigarren in dicken Ledersesseln.
Ok, Hollywood. Und das war ja auch noch in schwarz-weiß.
Jetzt fliegen wir in Farbe. Lufthansa hat gerade angekündigt, bei gleichbleibenden Preisen die Sitzreihen noch mehr zu verengen. Aber es soll weiterhin Essen & Trinken geben. Ich freu mich schon drauf.
Diesmal sind wir allerdings Gäste der TAP. Die Entschlüsselung der Kürzel lasse ich mal beiseite, obwohl mir da bestimmt das eine oder andere einfallen würde. Nachdem der Sicherheitsfilm auf den kleinen Monitoren zu Ende geflackert ist, geht das Unterhaltungsprogramm los. Ich krame nach meinen iPhone-Kopfhöreren und beginne die Suche nach der Einstöpselvorrichtung. Fehlanzeige. Mmmmh. Noch mal gucken. Nix. Ich frage die Stewardess.
„Wieso Ton?“
Geräusche sind auch völlig überbewertet bei einem Film. Nachdem mich aber das Stummfilmkabinett dann doch nicht so fesseln kann, konzentriere ich mich wieder auf mein Buch. Geschriebenes funktioniert ja Gott sei Dank auch ohne Ohrstöpsel. Pünktlich, nachdem sich der Held des Romans als Arschloch entpuppt hat, landen wir zum Zwischenstopp in Lissabon.
Dragan und ich sitzen im Bus zum Terminal 1. Unabhängig voneinander schauen wir auf unsere Reiseunterlagen und uns dann gegenseitig verwundert an. Wir sind Ortszeit um 15.10h gelandet und unser Anschlussflug geht um 15.55h nach Faro. So far so good. Es gibt nur einen klitzekleinen Haken: Es ist bereits 16.15h.
Das Telefon klingelt.
Robin. „Wo seid ihr? Habt ihr den Flieger geschafft?“ Na ja, nicht wirklich. Wir verabreden uns an dem meist unübersehbaren Schalter, an dem immer alle stehen, die Lost in Transportation sind. Die Schlange ist lang, zwei Mitarbeiter hinter dem Schalter. Einer telefoniert gelangweilt, die Kollegin kaut ausschließlich auf dem Stift. Unsere Leidensgenossen werden, wie auch wir, mit herzlicher Kompetenz betreut. Nach geschlagenen anderthalb Stunden bekommen Misses Dragan (eine ernstgemeinte, aber doch sehr gewagte These des Flugbetreuers) und Mister Robin eine Boardkarte für den 21.50h Flug in die Hand gedrückt. Bei meiner streikt offensichtlich der Drucker. Weitere 20 Minuten später kann dann auch die Stift-Kauerin das komische Piepsen des Geräts endlich als Fehlermeldung identifizieren und stellt mir eine Boardkarte per Hand aus. Na, geht doch.
Wir überlegen, was wir die restlichen 3 Stunden in dem feuchten Flughafengebäude mit unserer Zeit anfangen sollen. Wir könnten uns auf die Suche nach unseren Koffern machen, ein Schwein zum Abendbrot schießen oder aber die TAP Mitarbeiter mit Strom zurückfoltern. Ach, ich vergaß: Den gibt’s ja hier gar nicht. Also schummeln wir uns in die Lounge. Misses Dragan bäumt sich noch ein letztes Mal heroisch auf und versucht eine Stunde Internet zu kaufen. Den Rat der Folterknechte, doch noch mal extra dafür mit dem Bus in Terminal 2 zu fahren, lehnt er jedoch mit schmerzverzerrtem Gesicht ab.
Vilamura ist schön.
Soweit man das in der Dunkelheit und durch die beschmierten Fensterscheiben des Taxis beurteilen kann. Misses Dragan sitzt aufgrund seiner Körpergröße vorne neben dem Fahrer und übersetzt uns nach hinten was er sieht: Nix. Seine Sorge, dass der Fahrer selbiges sieht oder nicht sieht ist ganz unbegründet: In diesen Breitengraden verlässt man sich häufig aufs Gefühl, eventuell auch mal aufs Gehör.
Hören tue ich in der ersten Nacht recht wenig, mein Schlaf ist direkt komatös. Entweder liegt es an den guten Betten oder aber einfach an der Glückseligkeit hier doch noch, und sogar mit Koffer, angekommen zu sein.
Mein Spieltag beginnt nur einige Stunden später. Der Turniersaal ist großzügig angelegt, nur einige Tische an der Empore sind eng gestellt. So wie meiner. Ich klebe nach hinten mit der Rückenlehne an Antony LeLouche, links und rechts bin ich von Holländern gesandwitched. Eric van der Berg sitzt rechts von mir und wir jonglieren mit dem spärlichen Platzangebot. Ich haben einen fast „Dutch only please“ Table und bin froh, im Gegensatz zu den Russen, ein paar Worte zwischen den Karten zu verstehen. Das Turnier geht für mich ruhig und entspannt los und ich muss nur einmal in Level 3 eine etwas schwierigere Entscheidung für einen großen Pot treffen. Bis zum 6. Level kann ich in der Komfortzone mit +/- Average spielen.
Dann segelt einer der Holländer in meinen Stack. Mit Halbmast und eingezogenen Kanonen gelingt es ihm mich zu rammen.
Ich erzähle ihm die Geschichte meiner Hand mit wechselnden Kapiteln auf Flop, Turn und River. Erst wiegt er sich in seichten Gewässern, auf dem Turn schaukelt der Kahn schon ein wenig und auf dem River reißt ihm eigentlich das Hauptsegel. Ich sehe ihm an, dass er sich vermanöviert hat.
Das Problem allerdings ist, dass auch in meinem Schiff das Kielwasser einläuft und ich bei einem eventuellen Showdown nicht mal eine HighCard schlagen könnte. Meine einzige Chance, diesen Riesen-Pot noch zu gewinnen, ist ein direkter Schuss vor den Bug. Ich check-raise ihn all in.
Er lamentiert und spricht zu sich selbst. „Oh Dear, why didn´t I just check..??!!”. Eine typische Seemannskrankheit, die bisweilen auch Pokerspieler ereilt. Einsam und allein mit seinen Entscheidungen, keine kleine rettende Insel in Sicht, navigieren ohne Karte und immer geht es ums Überleben. Er ringt mit sich und den Gewässern und überlegt lautstark ziemlich lange, ob er seinen Kahn jetzt komplett kentern lassen soll. Seine Landsmänner fangen an Drinks zu ordern -Rum ist leider aus- oder bohren gelangweilt in der Nase. Auch wenn es noch so spannend ist, wenn andere das Deck schrubben, die verbliebenen Seemänner am Tisch wollen eigene Karten und es ist Time. Der Kapitän legt schlussendlich seinen Kopf gequält auf das vermeintliche Schafott und schiebt seine verbleibenden Chips rein. Offensichtlich hat er keine Lust super short weiter an dem Turnier teilzunehmen und er ist bereit lieber jetzt zu sterben als in der nächsten Hand. War ja nett gemeint von ihm aber für mich dumm gelaufen. Somit bin ich diejenige, die jetzt ein unübersehbares Leck hat. Ich kann noch froh sein, dass mein Rettungsboot 20 BB´s hat.
Von jetzt an muss ich mit kleinem Stack und abgebrochenem Ruder auskommen und wie der Teufel es so will: Es geht gar nichts mehr. Zwei ganze lange Level keine einzige Situation, null spielbare Hände. Da wir fast immer einen Flop zu sehen bekommen, kann ich auch beobachten, dass ich nicht einmal aus Unfall irgendetwas getroffen hätte. Dann gibt es nur eins: Aushalten und improvisieren. Zu allem Überfluss habe ich mit meinem lädierten Häufchen auch noch in den letzten 5 angesagten Spielen des Abends Small- & Bigblind. Die finale Hand, die ich um 20.45 h sehe ist 3-8 off und es gab einen Push vom Cut Off.
Ich tüte meinen übersichtlichen Rest von 15 BB ein und verabrede mich mit dem Roomservice des Hotels. Nach der gegrillten Dorade (Ich dachte, Fisch wäre passend) und einem Glas Weißwein schlafe ich erneut wie im Himmel.
Morgen wird weiter gesegelt. Oder sagen wir mal lieber mit einer Nussschale zur Atlantik-Überquerung antreten. Ich habe allerdings schon von Typen gehört, die durch glückliche Umstände einen Showdown überlebt haben sollen. Der Name ist mir leider entfallen.
Falls der Enterhaken abbricht bin ich in einem ortsansässigen Reitstall verabredet um mir portugiesische Pferde anzusehen. Ich kann mich gerade nicht entscheiden, was ich schöner finde.
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