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Über Evolution und Revolution

Zurzeit bin ich gerade in Toronto, Kanada, um mit einigen meiner Teamkollegen neue Werbespots für PokerStars zu drehen. Eine gute Gelegenheit die viele Wartezeit zwischen den Takes mit interessanten Gesprächen zu verbringen.

Natürlich geht es meistens um Poker. Aber nicht nur die gewöhnlichen „wie spielst Du diese Hand?“- Themen werden diskutiert, sondern es ergeben sich zwangsläufig auch andere Bereiche. Durch den Teamzuwachs aus Russland, Brasilien, Schweden und Polen betritt oder verstärkt PokerStars die neuen Märkte. Interessant war zu hören, auf welche Weise sich das Spiel in den verschiedenen Ländern etabliert hat und es gibt immer wieder erstaunliche Parallelen in seiner Entwicklung. Zeit, sich mal ein paar Gedanken zu machen, wie es um das Pokerspiel in Deutschland steht.

Etwa im Herbst 2002 schlugen Jan und ich –wahrscheinlich direkt nach einem Las Vegas Trip- dem Casino Schenefeld zum ersten Mal vor, zusätzlich die Pokervariante Texas Holdem anzubieten. Das Casino zeigte sich nach Erkundigungen darüber sehr begeistert und hochmotiviert, die meisten Spieler dagegen standen Holdem eher skeptisch gegenüber. „Was ist das denn? Karten in die Mitte und die gelten dann für alle? Das ist doch kein Poker!“

Ich muss dazu sagen, dass man damals in Deutschland bei dem Wort „Texas Holdem“ eher an eine Amerikanische Versicherungsgesellschaft dachte, als an eine Pokervariante. Es wurde in den Casinos 7 Card Stud gespielt und das bereits seit Jahrzehnten. Ausschließlich.

Die alteingesessenen Spieler fürchteten mit einmal um Ihren jahrelangen Wissensvorsprung und waren kaum bereit sich dem Neuen, Fremden anzunehmen.

Doch das scheinbar einfache Spiel mit den 2 Karten in der Hand schien dann doch zu gefallen und lockte immer mehr Menschen an. Das eher undurchsichtige, viel zu komplizierte 7 Card Stud dagegen starb weitestgehend in Deutschland aus. Für eine gute Partie musste man sich dann schon ins Bellagio oder aber ins Internet bemühen. Entgegengesetzter weise waren und sind die Stud-Spiele in den USA allzeit präsent. Die interessanten Partien sind die Mixed Games, meistens 2-3 Stud-Spiele und 2 weitere Varianten, von denen man landläufig bisher in Deutschland ebenso wenig weiß wie etwa vor einem Jahr über Razz.

Im Gegensatz zu damals beginnen die meisten Anfänger heutzutage in Deutschland mit Holdem. Diese Variante ist ein wundervolles Spiel, wenn man es entweder wirklich beherrscht oder aber gar keine Ahnung hat. Dazwischen kann Holdem ziemlich nervig sein. Es beinhaltet viel mehr als man auf den ersten Blick erkennen kann und wer sich mit der Materie auseinandersetzt wird feststellen, dass es immer komplizierter wird, je länger man es spielt.

Bedingt und angeheizt durch die Medien begehen viele allerdings den Fehler, sich als erstes (meist allerdings nur rudimentär) mit No Limit Holdem (vorzugweise Turnier) zu beschäftigen. Die Gefahr dabei besteht, dass ganz elementare Dinge zum Verständnis vom Pokerspiel an sich  übersprungen werden.

Das ist in etwa so, als klimpere man bereits seit einiger Zeit mehr oder weniger ansehnlich auf dem Klavier, ohne die Noten wirklich lesen zu können oder gar die richtigen Finger für die richtigen Tasten zu benutzen. Es kommen Töne heraus. Manchmal gute, manchmal weniger gute. Sicherlich bringen auch solche Konstellationen ab und zu gute Musiker hervor, man wird sie jedoch selten in der Mailänder Scala hören können. Denn es geht nicht nur um Notenlesen oder Tasten treffen, sondern vielmehr darum, dass man die Musik verstanden hat.

Das Erlernen des Pokerspiels ist umfangreich und ein weiser Spruch dazu besagt, es dauert so lange und kostet so viel wie ein Jurastudium. Das mit den Kosten hat sich heutzutage etwas relativiert, der Spruch ist alt und damals konnte man wahrscheinlich kaum anders studieren als „es einfach zu tun“.  Heute gibt es Internet, Microlimits, Playmoney, Pokerschulen und unzählige Lektüre. Jan und ich sind schon auf der Suche nach derselben extra nach Las Vegas gereist, da hatte Amazon noch nicht einmal seine erste Garage im Hinterhof bezogen. Trotz all dieser Möglichkeiten heute entscheiden sich viele mit NLHE anzufangen. Oder gerade deshalb? Man bekommt 2 Karten und füllt am besten noch vor dem Flop den Lottoschein aus.

Das ist oftmals bisher leider das Verständnis von Poker.

Die deutschen Medien tragen meistens auch nichts Besseres dazu bei. Sind wir mal froh, dass Poker von den Mainstream Medien überhaupt entdeckt wurde, aber was ich so manches Mal über mich lesen muss, da stehen einem ja die Haare zu Berge. Natürlich verkauft sich eine „männermordende Blondine“ in der Journaille weitaus besser als eine schwarze anonyme Kapuze und oftmals, nein eigentlich immer, wird übertrieben, hineininterpretiert und Falsches geschrieben. Besonders amüsant finde ich, dass die Journalisten-Kollegen ständig von einander abzuschreiben scheinen ohne z.B. Zitate vorher zu verifizieren. Dann kann man falsche Dinge gleich wochenlang mehrmals lesen.

Seit etwa einem Jahr jedoch beobachte ich in Deutschlands Pokerszene wachsendes Interesse an Neuem. Viele spielen bereits seit einiger Zeit Poker, sind etwas „Holdem-müde“ geworden und auf der Suche nach neuen Ufern. Das verstehe ich nur zu gut, mir würde dieses ständige, meist sinnfreie All-in nach 15 Monaten auch zu langweilig werden.

Und tatsächlich, ich kann die meisten beruhigen: Es gibt ein Leben nach NLHE. Es gab ja schließlich auch eins davor. Das Leben ist ein Kreislauf. Alles was je einen Anfang gefunden hat scheint irgendwann zurückzukehren.

Es scheint momentan, als sei Deutschland auf dem Weg eine echte Pokernation zu werden. Eine Pokernation mit Interesse am Spiel. Eine, die Fragen stellt und neues Terrain nicht scheut. Auf der diesjährigen WSOP war der Andrang bei den Mixed Events sehr groß. Einerseits lag es sicherlich daran, dass sie überhaupt mal in der Anzahl und Auswahl angeboten wurden, andererseits hat niemand mit solchen Zahlen gerechnet.

Dieses Jahr gewannen gleich 3 Deutsche ein Bracelet. Jens Voertmann im H.O.R.S.E, Sebastian Ruthenberg im Stud8 und Martin Kläser im Omaha8. Alles in Varianten, die dem deutschen Durchschnittspokerspieler bisher suspekt oder gänzlich fremd sind. Und alles keine unbekannten Spieler. Letztes Jahr gab es eins von mir im Razz und Michi Keiner steuerte ebenfalls eins in einer Nicht-Holdem-Variante dazu: im 7-Card-Stud high.

Ist das nun Evolution oder Revolution? Das Ende oder der Anfang? Oder der einfach immer wiederkehrende Kreislauf?

Es scheint so, dass das Kinderüberraschungs-Ei „Poker“ noch lange nicht vollständig ausgepackt ist. Deutschland hat gerade mal das Ei entdeckt, das knisternde bunte Papier abgewickelt und die Süßigkeit freigelegt. Noch mit dem Genießen der Schokolade beschäftigt, bemerkt man erst jetzt langsam, dass das Ei noch eine Überraschung bereithält.

Die Bauanleitung für das spannende Innenleben folgt bestimmt bald. Schließlich haben wir ein paar Leute hier in Deutschland, die was davon verstehen.

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